Gastbeiträge

30. Unverheiratet. Keine Kinder.

Welchen Wert habe ich?

Stefanie Langer – Freundin und Kollegin von mir, Julia. In diesem Gastbeitrag schreibt sie sehr offen über ihre Gedanken und Gefühle zum Thema Gesellschaftsdruck.

1989 war meine Mutter 24 Jahre alt. Es war das Jahr, in dem ich geboren wurde. Ich bin heute 30, kinderlos und umgeben von Freundinnen, die entweder gerade ein Kind bekommen haben, zeitnah planen eins zu kriegen oder die gerade schwanger sind. Ich freue mich für meine Mädels, keine Frage. Neue Kapitel im Leben sind aufregend, aber sie nehmen mich auf eine Weise mit, die mich manchmal nervös und auch traurig machen.

Ob ich es will oder nicht, das Thema „Baby“ nimmt aktuell einen großen Teil meines Alltags ein. Der Hauptgrund dafür sind meine zwei engsten Berliner Freundinnen – die eine frisch gebackene Mutter, die andere kurz vor der Entbindung. Mit ihnen habe ich Anfang letzten Jahres einen WhatsApp-Gruppenchat gegründet. Es war Weltfrauentag und wir haben darüber diskutiert, wo wir entspannt brunchen gehen und wer an dem Tag noch den Wein besorgt. Heute scrolle ich durch den Chat-Verlauf und höre lange Sprachnachrichten über Schwangerschaftsdiabetes und erste Krabbelversuche. Meine neue Realität ist noch gewöhnungsbedürftig. Vor allem dann, wenn ich mich einfach nicht als Teil der Gruppe fühle. Ausgeschlossen. Weil ich kein Baby habe. Das ist doch absurd! Und dennoch kann ich mich gegen dieses Gefühl nicht wehren. Ich komme mir oft jämmerlich klein vor. Meine kleinen Alltags-Problemchen wirken jetzt in diesem neuen Kontext plötzlich lächerlich auf mich und ich traue mich nicht, sie wie früher mit meinen Freundinnen zu teilen. Wie soll ich ihnen davon erzählen, dass mein größtes Problem aktuell ein lästiger Pickel auf meiner Stirn ist, wenn die eine sich über Elterngeld sorgt und die andere unter Schlafentzug leidet? DAS sind doch die wahren Probleme des Lebens! Dagegen kommt mein Pickel einfach nicht an.

Aber kann man Probleme überhaupt mit einem Wert beziffern? Solange sie uns emotional mitnehmen, gilt hier doch eigentlich Gleichberechtigung. Tief im Inneren bin ich mir dessen natürlich auch bewusst, aber ich schaffe es viel zu oft einfach nicht, meinen eigenen Wert nicht in Frage zu stellen. Als sei eine Frau mehr Frau, wenn sie Mutter ist. Eine Heldin, die einen neuen Menschen erschaffen hat. Das ist doch magisch! Diese Heldin bin ich nicht. Zumindest noch nicht.

Schaffe ich mir jetzt also ein Kind an, nur um wieder mitreden zu können?

Als Teenager habe ich gelernt: Wer sich Buffalos kauft und dazu Miss Sixty Hosen trägt, gehört schnell dazu. Schaffe ich mir jetzt also ein Kind an, nur um wieder mitreden zu können? Natürlich nicht. Aber ich kann nicht leugnen, dass die Lebensumstände meiner Freundinnen meinen Wunsch nach Kindern befeuern.

Meine Mutter ist heute 55 und ganz wild darauf, endlich Oma zu werden. Sie hat das unglaubliche Talent, ein harmloses Gespräch über das Mittagessen in eine Diskussion über meine biologische Uhr zu verwandeln. Natürlich weiß ich, dass sie nicht absichtlich Druck aufbauen will. Das ist einfach ihre Art, ihren Wunsch, Oma zu werden, zu formulieren. Aber ich fühle mich unter Druck gesetzt. Sogar sehr. Mir ist klar, dass meine biologische Uhr laut tickt, aber meine mentale Uhr tickt gerade in einem unregelmäßigen Tempo. Und die meiste Zeit kann ich genau dieses Ticken einfach nicht deuten. Den Kinderwunsch habe ich, das ist für mich klar. Aber bin ich jetzt dafür bereit? Und wenn ja: Ist mein Freund überhaupt dazu bereit? Schließlich gehören zur Familienplanung ja zwei dazu. Vielleicht wären diese Fragen einfacher zu beantworten, wären wir nicht erst so kurz zusammen. Unsere Beziehungsuhr schlägt nämlich erst seit knapp eineinhalb Jahren. Außerdem genieße ich unsere gemeinsame Zeit zu zweit gerade in vollen Zügen: Reisen wohin man will, ausgehen wann man will und miteinander schlafen wo man will. Das will ich noch nicht aufgeben. Beziehungsweise weiß ich nicht mal, ob ich das überhaupt aufgeben muss wenn ein Kind da ist und so schnell will ich es auch noch nicht herausfinden. Na also! Ich weiß doch ganz genau, was ich will. Wieso mache ich mir dann trotzdem so einen Druck?

Es ist leicht zu sagen: Das ist nur meine Umwelt, die mich in diese Mutterrolle drücken will. Ich könnte die Stimmen ja einfach ignorieren. Aber ich lebe Tag für Tag in ihr und will mich doch weiterhin darin wohl fühlen. Selbst wenn ich mich auf die Couch fläze, um ein bisschen Ablenkung in meinem Feed zu finden, dann werden mir Werbeanzeigen von Baby-Tragetaschen und so einer Smartwatch, die meine fruchtbarsten Tage auswerten soll, angezeigt. Google ist also auch der Meinung, ich sollte mich vermehren. Auch meine Gynäkologin beehrt mich jedes Jahr aufs Neue mit der Frage, ob ich ein Rezept für Folsäure mitnehmen möchte. Als mein Freund und ich Anfang des Jahres in unsere 3-Zimmerwohnung gezogen sind und wir nach und nach Besuch empfangen haben, mutierten die Bemerkungen unserer Gäste über das dritte Zimmer als potenzielles Kinderzimmer schnell zu einem Runnig Gag.

Ich bin meiner Umwelt nicht böse darüber, wie sie mich gern sehen will. Ich möchte nur, dass sie versteht, dass es manchmal einfach zu viel ist. Dass ICH immer noch darüber entscheide, wann ich mir Tragetaschen übers Internet bestelle, Folsäure kaufe oder mein drittes Zimmer Baby-gerecht umgestalte. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so schizophren gefühlt wie jetzt: Ich werde im Sommer 31, bin endlich selbstbewusst und liebe meinen Körper mit all seinen Dellen und Kurven. Zugleich fühle ich mich, als hätte ich gar nichts erreicht, weil ich keine Ahnung davon habe, was es heißt, Mutter zu sein.

Dieses Gedankenkarussell anzuhalten ist manchmal schwer und ich erwische mich oft dabei, wie ich mir meinen Freund und mich vorstelle, wie wir ein kleines Wesen – unser kleines Wesen – mit Liebe überschütten und ihr oder ihm Blödsinn beibringen. Darauf freue ich mich schon sehr. Ich freue mich aber auch darüber, dass ich jetzt in der praktischen Situation bin, viel von meinen Freundinnen zu lernen. Früher oder später werde ich davon profitieren und nebenbei vielleicht sogar ein paar süße Baby-Klamotten von ihnen erben. In der Zwischenzeit genieße ich weiterhin die Zweisamkeit mit meinem Freund. Denn ich möchte vor allem, dass mein Kind in eine starke Beziehung reingeboren wird.

Wie sieht eure Situation aus? Verspürt ihr auch hin und wieder diesen Gesellschaftsdruck und wenn ja: Wie geht ihr damit um?

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8 Kommentare

  • Reply Frank Quade April 27, 2020 at 8:45 pm

    Liebe Steffi!Es ist mir eine Freude, das Du so mutig bist über diese geheimsten Ängste und Zweifel zu reden. Das zeigt doch was für eine tolle, verantwortungsvolle Frau Du bist! Und glaube mir: jeder hinterfragt in solchen Momenten sein eigenes ich. Am Samstag habe ich gerade ein Interview mit einem russischen Pianisten gehört und er hat Recht: vieles in unserem Leben kann von außen anders interpretiert werden, unterliegt vielfältigen Meinungen. Nur eins gehört jedem von uns ganz allein: unsere Gefühle! Ich habe immer versucht in mich hinein zu hören und meinen Gefühlen zu folgen. Du hast es ja erkannt: die biologische Uhr ist nur ein Puzzleteil im Bild unseres Lebens. Ich denke, die Seele ist das entscheidende. Ich sehe in Dir eine innere Ruhe und Kraft, Du musst sie Dir nur noch mehr bewusst machen. Versuche mal alle Einflüsse und Meinungen in den Hintergrund zu stellen und höre in Dich hinein…. und Du wirst sie hören: Deine innere Stimme. Mach Dir nicht zu große Sorgen, nicht soviel hinterfragen und analysieren. Einfach mal das Leben laufen lassen. Es ist toll das Du so super Freundinnen hast. Tausche Dich mit ihnen aus. Aber vergleiche oder bewerte nicht die unterschiedlichen Lebenssituationen. Jeder hat seinen eigenen Lebenskreis. Genieße das Jetzt mit Sascha und wenn Deine Seele und Dein Körper sagen: jetzt ist es ok, dann werdet ihr auch irgendwann zu dritt sein. Ich bin auf jeden Fall stolz und glücklich das Du in unser Leben getreten und auch schon ein Teil unserer Familie bist. Übrigens, ob Pickel auf der Stirn oder das der Stuhlgang des Kindes nicht in Ordnung ist: in dem Moment ist es jeweils für denjenigen der das Problem hat, von gleich großer Bedeutung…

    • Reply julia Mai 5, 2020 at 2:30 pm

      Lieber Frank,
      vielen Dank für diesen wundervollen Text – du bringst es genau auf den Punkt und gibst damit sicherlich nicht nur Steffi, sondern auch vielen anderen eine neue, positive Sichtweise. 🙂
      Ganz liebe Grüße,
      Julia 🙂

  • Reply Thomas D. April 27, 2020 at 9:29 pm

    Mir geht es genauso. Bin jetzt auch 30. Dieses Jahr wären 4 Hochzeiten gewesen. Viele bereits mit Kindern. Und als Single kriegt man nur sozialen/gesellschaftlichen Druck.

    Versuche es eigentlich immer zu ignorieren, aber es kommt ja doch immer wieder und meistens noch stärker.

    • Reply julia Mai 5, 2020 at 2:23 pm

      Lieber Thomas,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Es ist „beruhigend“ zu lesen, dass nicht nur wir Frauen diesem Druck ausgesetzt sind, sondern durchaus auch ihr Männer damit zu kämpfen habt. Das vergisst man sehr oft. Alles Gute für dich!! 🙂
      Julia

  • Reply Karina Mai 1, 2020 at 9:50 am

    100%!
    Alle Freundinnen schwanger oder junge Mutter, gerade umgezogen und Bemerkungen über das dritte Zimmer, sozialer Druck und das Gefühl die eigenen „Probleme“ seien weniger wichtig.
    Du sprichst mir aus der Seele!
    Karina, im Sommer 31…

    • Reply julia Mai 5, 2020 at 2:20 pm

      Liebe Karina,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Ich bin mir sehr sicher, dass es ganz vielen Frauen in unserem Alter so geht. Alles Liebe für dich!! 🙂
      Julia

  • Reply Jenny Mai 2, 2020 at 8:48 am

    Liebe Stefanie,

    Ich danke dir für deine Geschichte, du sprichst mir aus der Seele!

    Ich bin fast 29 Jahre alt, mein Mann 31. Wir sind seit fast 14 Jahren zusammen, aber wir genießen die Zeit zu zweit immer noch wie am ersten Tag unserer Beziehung.

    Der gesellschaftliche Druck ist bei uns enorm, z. B. das Gerede unserer Mitmenschen, als wir uns eine 3-Raumwohnung und einen Kombi anschafften oder wenn ich abends bei Freunden mal kein Alkohol trinken wollte. An der Arbeit bin ich die einzige die aktuell kein Kind hat, im Freundeskreis und in der Familie werden es auch nach und nach mehr Kinder. Ich denke hier auch oft, das ich einfach mit meinen Wünschen und Problemen alleine sein werde, weil alle anderen sich auf ihre Kleinen konzentrieren wollen. Lange Partynächte oder spontane Treffen, wie ich sie so liebe, werden immer weniger.
    Mittlerweile kennen meine engste Familie und meine besten Freunde meine Gedanken zum Thema Familienplanung und geben mir hier die Zeit, die ich für diese lebenswichtige Entscheidung brauche.
    Doch seit wir verheiratet sind, wächst der Druck dennoch. Ich traf kurz nach unserer Hochzeit 2018 eine ehemalige Lehrerin von mir, die mich fragte: „und wann ist es bei euch soweit, jetzt wo ihr verheiratet seit?!.“ Auch meine Frauenärztin rät mir nicht mehr zu lange mit der Familienplanung zu warten, weil es in meinem Fall schwer werden wird, schwanger zu werden.

    Das in unserem Alter, das Gedankenkarussell anfängt zu drehen, gehört wahrscheinlich auch irgendwie dazu und ich werde damit auch weiterhin leben können, bis ich mir wichtige Fragen beantworten konnte und ich bereit bin, die Veränderungen im Leben, die ein Kind mit sich bringen wird, zu akzeptieren. Das die Gesellschaft ständig versucht, die Fahrt des Gedankenkarussells zu beschleunigen, stört mich jedoch sehr. Ich wünsche mir an dieser Stelle einfach nur etwas mehr Empathie der Mitmenschen.

    Liebe Julia, liebe Stefanie, ich wünsche euch beiden für eure Zukunft nur das Beste.

    Viele Grüße aus Thüringen ;),

    Jenny

    • Reply julia Mai 5, 2020 at 2:19 pm

      Liebe Jenny,

      vielen lieben Dank, dass du dir die Zeit genommen hast für diesen ausführlichen Kommentar und uns an deiner Gefühlswelt teilhaben lässt. Ich kann deinen Standpunkt sehr gut nachvollziehen. Auch diese Frage: „Wann ist es bei euch soweit?“ – finde ich sehr schwierig. Das sollten sich die Menschen grundsätzlich abgewöhnen, denn man weiß nie, was hinter den Kulissen alles stattfindet. Nach meiner Fehlgeburt hat mir diese Frage sehr weh getan. Lass dich bloß nicht stressen und gehe deinen Weg mit deinem ganz eigenem Tempo. 🙂

      Fühl dich gedrückt und alles Liebe!!
      Julia

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