WENN DAS ZUHAUSE ZUM KREIßSAAL WIRD
Ja, diese Überschrift zerreißt einem schon das Herz. Aber auch wenn es kein schönes Thema ist, muss darüber gesprochen werden. Denn auch das gehört bei vielen Frauen zum Kinderwunsch dazu: die Fehlgeburt. Und so ist es nun auch ein Teil von mir.
Die Statistik
Es ist nicht leicht, nein es ist sogar verdammt schwer über dieses Thema zu reden. Aber wir sollten es tun, denn einige Frauen sind betroffen. Die Statistik zeigt es: Etwa 15% aller klinischen Schwangerschaften (also die Schwangerschaften, die im Ultraschall erkennbar sind) enden in einer Fehlgeburt. Die häufigsten Fehlgeburten sind allerdings die, die schon vor der 5. Woche abgehen. Hier geht die Medizin von einer 50% Rate aus. Oftmals bekommen die Frauen gar nicht mit, dass sie schwanger waren, da der Abort als normale Periode wahrgenommen wird. Dieses „Glück“ hatte ich leider nicht. Bei mir war es kein stiller Abgang, sondern das ganze Programm.
Die Fehlgeburt
Ich fange einfach mal von vorne an. Mein Mann und ich haben im September 2018, nach 12 Jahren Beziehung, geheiratet. Das Thema Kinder war in den vergangenen Jahren immer mal wieder präsent. Aber so wirklich bereit dazu haben wir uns noch nicht gefühlt. Erst nach der Hochzeit wurde bei mir der Kinderwunsch größer. Wir redeten darüber und waren uns schnell einig, dass wir es Ende 2019 einfach probieren werden. Doch es kam anders…
Im April 2019 wurde ich überraschend schwanger. Damit haben wir nicht gerechnet. Ich konnte es überhaupt nicht fassen, als ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt. Natürlich habe ich sofort einen zweiten gemacht, weil ich es einfach nicht glauben konnte. So schnell wird man doch nicht schwanger. Tja, anscheinend schon. Nach dem der erste „Schock“ verdaut war, haben wir uns sehr gefreut. Wir haben uns so gefreut, dass wir sogar am selben Abend noch meine Mutter und die engsten Freunde informiert haben. Das würde ich so tatsächlich nie wieder machen. Aber die Euphorie war zu groß.
Nach einer Woche ging ich zu meiner Frauenärztin, um mir die Schwangerschaft bestätigen zu lassen. Dieser Termin war jedoch der erste Dämpfer. Auf dem Ultraschallbild sah man nichts weiter als eine leere Fruchthöhle. Es kam mir komisch vor, denn laut meiner Rechnung hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon in der 6. Schwangerschaftswoche sein sollen. Natürlich habe ich vorher im Internet recherchiert, was man in SSW 6 auf einem Ultraschallbild sehen müsste: nicht viel, aber theoretisch wäre der sogenannte Dottersack zu sehen. Doch bei mir: gähnende Leere. Meine Frauenärztin sagte mir, dass ich wahrscheinlich erst in der 5. Woche sei und deshalb noch nichts zu sehen ist. Sie klärte mich jedoch darüber auf, dass sich eine befruchtete Eizelle in manchen Fällen nicht weiterentwickelt. An dieser Stelle wurde das erste Mal die Ausschabung thematisiert. Eine Ausschabung ist ein kleiner Eingriff unter Vollnarkose. Dabei wird die obere Schleimhautschicht der Gebärmutter abgeschabt, so verhindert man Infektionen und diese ist notwendig, wenn die Eizelle nicht mit der Periode abgeht.
Puh, das habe ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Ich war am Boden zerstört und wusste nicht wohin mit meinen Gedanken. Ich sollte in einer Woche wiederkommen. Das war, ganz bestimmt, eine der längsten Wochen meines Lebens. Ich war sehr pessimistisch, war mir sicher, dass da was nicht in Ordnung ist. Man hätte etwas sehen müssen.
Nun ja, eine Woche später bin ich wieder zum Arzt. Als mentale Unterstützung begleitete mich diesmal mein Mann. Und das Gefühlskarussell nahm seinen Lauf. Es war tatsächlich etwas zu sehen: der Dottersack. Da war er, den ich eigentlich schon eine Woche zuvor erwartet hatte. Ich war überglücklich. Die Euphorie kehrte zurück. Wir informierten in den Wochen darauf die restlichen Familienmitglieder, Freunde und Arbeitskollegen. Warum auch nicht? Klar, diese typischen 12 Wochen, die man warten soll, waren noch nicht um. Aber ist doch egal, wir freuten uns eben und wollten diese aufregende Phase am liebsten mit allen teilen. Doch dass diese Entscheidung später noch zur Belastung wird, war mir zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht bewusst.
„Es sieht leider nicht gut aus, das Herzchen schlägt nicht mehr.“
Vier Wochen später hatte ich meinen nächsten Arzttermin. Ich war an diesem Tag besonders aufgeregt. Seit einigen Tagen waren jegliche Symptome, die ich in den Wochen zuvor hatte, auf einmal verschwunden. Keine Übelkeit mehr, kein ziehen in der Brust, ich musste nicht mehr so oft auf Toilette wie vorher. Das kam mir alles sehr komisch vor.
Das unwohle Gefühl wurde in der Praxis verstärkt, es war anscheinend für alle ein merkwürdiger Tag. Es ging hektisch zu und die Laune der Arzthelferinnen war auch nicht die Beste. Bevor ich zu meiner Ärztin ins Behandlungszimmer bin, wurde mein Mutterpass ausgestellt. Es wurden die üblichen Untersuchungen gemacht: Urinprobe, Blutabnahme, wiegen, Blutdruckmessung usw. Alles wurde sorgfältig im Mutterpass vermerkt. Ich kann mich erinnern, dass ich das beobachtet habe und währenddessen dachte: Können wir bitte erstmal schauen, ob alles in Ordnung ist, bevor sich hier so viel Mühe mit dem Pass gegeben wird? Aber gut, das ist anscheinend immer der gängige Ablauf. Als ich dann auf dem Gynäkologenstuhl saß, schoss mein Puls in die Höhe. Mir ging es gar nicht gut. Und dann sprach meine Ärztin das aus, was sich für immer in mein Gehirn gebrannt hat: „Es sieht leider nicht gut aus, das Herzchen schlägt nicht mehr.“ Da war sie, die Bestätigung meiner größten Befürchtung. Meine Reaktion war erstaunlicher Weise abgeklärt. Ein trauriges „schade“ war das Einzige, was ich in diesem Moment über die Lippen bekommen habe. Ich wusste gar nicht wohin mit meinen Gefühlen und Gedanken. Meine Gynäkologin war sehr einfühlsam. Ich war schon die Zweite an diesem noch frühen Tag. Vielleicht war das der Grund, warum die Stimmung in der Praxis schon so bedrückend war. Mit meinem Mutterpass und einer Telefonnummer von einer Ausschabungspraxis fuhr ich wie im Delirium nach Hause. Dort angekommen fiel ich meinem Mann weinend in die Arme. Mir war klar, dass ich damit einige Zeit zu kämpfen haben werde.
Die Trauerphase
Jetzt mussten wir, natürlich, alle darüber informieren, dass ich das Kind verloren habe. Das war, rückblickend gesehen, mit, das Schwierigste an der ganzen Nummer. Zu viele Menschen waren involviert. An dem Tag, als ich es erfahren habe, war ich noch recht benommen und hatte die Kraft mit meiner Mutter und meinen besten Freundinnen zu sprechen. Doch schon ein Tag später wollte ich mich nur noch verkriechen und weinen. Im Stundentakt versuchte mich meine Familie, meine Freundinnen, meine Cousine anzurufen. Alle wollten für mich da sein. Aber ich wollte nur allein sein. In der Trauer versinken. In diesen Momenten der Enttäuschung und Trauer kann man die ganzen Gedanken überhaupt nicht filtern. Es herrscht Chaos im Kopf. Was ist falsch mit mir? Warum konnte das Kind in meinem Körper nicht überleben? Kann ich vielleicht gar keine Kinder bekommen? Vielleicht ist mein Körper gar nicht bereit für eine Schwangerschaft? Was bedeutet das für unsere Zukunft, wenn wir kinderlos bleiben? Werde ich dann jemals vollkommen glücklich sein?
Für Außenstehende, die so etwas nicht erlebt haben, ist es sicherlich schwer nachzuvollziehen, wie man um ein Baby trauern kann, das man noch gar nicht kannte. Doch sobald eine Frau schwanger ist, baut sie zu ihrem ungeborenen Kind eine Bindung auf. Ich habe dieses Baby, welches ich in meiner Vorstellung schon ganz klar vor mir sehen konnte, geliebt. Ich wollte es nicht glauben, dass ich mich von diesem kleinen Wesen verabschieden muss. Es hat mir das Herz zerrissen.
Die kleine Geburt
Den Termin zur
Ausschabung hatte ich sechs Tage später, an einem Dienstag. Nach
einigen Tagen der Trauer, war ich mental und anscheinend auch körperlich bereit, den Embryo loszulassen. Am
Sonntag setzten die ersten leichten Wehen ein. Ich habe mir allerdings nichts
dabei gedacht, außer: Okay, mein Körper arbeitet. Ist ja auch irgendwie klar, schließlich habe ich eine tote Frucht in mir. Diese
„Wehen“ machten mir keine Angst, da es ein bekannter Schmerz war. Sie
fühlten sich an wie Periodenkrämpfe. Am Montagabend wurden die Schmerzen jedoch
schlimmer und die Abstände kleiner. Die sogenannte
kleine Geburt setzte ein. Ein Begriff, den ich vorher noch nie gehört habe. Mir war nicht klar, dass das passieren
kann. Ich wurde nicht aufgeklärt. Es wurde lediglich gesagt:
„Wenn Sie bluten, dann fahren Sie in die Notaufnahme.“ Geblutet habe
ich allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Stunden später befand ich mich in einem Zustand, in dem ich
nicht mehr transportfähig war und ich wollte auch nicht
von Zuhause weg. Wir telefonierten zwischendurch mit dem Notarzt, aber wirklich
hilfreich war das nicht. Also musste mein Mann die Rolle der Hebamme einnehmen
und wir beide haben innerhalb von 8 Stunden unser Baby von meinem Körper befreit. Es war die Hölle. Die Schmerzen hätte
ich irgendwie überstanden, aber das Ganze drum
herum. Da ich wegen der bevorstehenden Narkose nüchtern
bleiben musste, durfte ich nichts trinken. Das führte
dazu, dass ich dehydriert bin. Ich hatte mehrere Kreislaufzusammenbrüche, habe gezittert, zusätzlich hat sich mein Körper komplett entleert, während ich nach und nach Gewebe verlor. Und als die
Fruchthöhle rauskam, musste ich mich auch noch übergeben. Die Fruchthöhle, samt toter Frucht verschwand in der Toilette.
Ich konnte es nicht sehen, da alles voller Blut war. Mit einer gewissen
Erleichterung spülte ich es weg.
Wir hatten noch genau eine Stunde Zeit, bevor wir in die Klinik mussten. Diese
Stunde nutzen wir, um wieder zu Kräften zu kommen. Der Wecker
klingelte und ich fühlte mich wie neugeboren, als wäre mein Körper schon komplett regeneriert.
Wirklich erstaunlich was unser Körper für Fähigkeiten hat. Ich ging duschen,
packte meine restlichen Sachen zusammen und wir fuhren noch etwas geschockt und
übermüdet in die Klinik zur
Ausschabung. Diese musste dennoch durchgeführt werden, weil in meiner Gebärmutter noch einige Spuren zu sehen waren.
Tja, dann sitzt man dort im Wartezimmer, mit 15 weiteren Pärchen und alle haben das gleiche Schicksal.
Diese kleine Geburt war, sowohl körperlich als auch mental, das Heftigste was ich bis jetzt durchmachen musste. Aber rückblickend würde ich sagen, dass es mir auch geholfen hat. Es war wichtig für mich. Die Hormone konnten natürlich abfallen und durch diesen Prozess habe ich mein ungeborenes Baby was gerade mal 10 Wochen alt war, verabschieden können. Ich habe es gespürt, wie es sich von mir und meinem Körper gelöst hat. Allerdings sollte man so eine kleine Geburt nicht unbedingt allein Zuhause durchmachen, denn es kann durchaus gefährlich werden. Die Ärztin in der Klinik hat mich darüber unterrichtet, dass ich im schlimmsten Fall hätte verbluten können. Bei mir ist Gott sei Dank alles gut gegangen.
Meine Trauerphase war selbstverständlich nach der Ausschabung noch nicht abgeschlossen. Es hat Monate gedauert. Doch mittlerweile kann ich darüber reden, ohne in Tränen auszubrechen. Das ging ganz lange nicht. Es wird eine Narbe auf der Seele bleiben und ein Ereignis, welches auch unsere Ehe prägt. Doch wir sind in dieser Nacht noch enger zusammengewachsen und ich bin so unendlich dankbar so einen tollen Mann an meiner Seite zu haben. Ohne ihn hätte ich das nicht durchgestanden.
Mein Wunsch
Ich würde mir wünschen, dass Frauen, im Falle einer Fehlgeburt, besser aufgeklärt werden. Dass ihnen alle Möglichkeiten dargelegt werden und nicht nur die Ausschabung der einzige Weg ist. Jeder Frau in Deutschland steht eine Hebamme zu, auch bei einer Fehlgeburt. Und wenn man eine gute Begleitung hat, dann ist eine kleine Geburt auch immer eine Alternative. Doch das muss jede Frau für sich entscheiden. Mir wurde die Entscheidung abgenommen und im Nachhinein bin ich froh darüber.
An alle Frauen, die das gleiche Schicksal tragen: Ihr seid nicht allein. Ganz im Gegenteil, es passiert so vielen Frauen, die meisten trauen sich einfach nicht darüber zu sprechen. Doch wir als Gesellschaft sollten dieses Thema enttabuisieren. Wir müssen darüber reden, auch wenn es kein schönes Thema ist. Auf diese Weise wird es vielleicht etwas „Normales“ und man schämt sich nicht mehr so sehr. Denn ja, auch Scham ist ein Gefühl, was bei einer Fehlgeburt hochkommt. Nach unserer Fehlgeburt haben wir uns vorgenommen, das Thema offen anzusprechen. Wenn die Frage kam: „Wie geht’s euch so?“ oder die klassische Frage, wenn man frisch verheiratet ist: „Und wann ist es bei euch soweit?“ – Dann haben wir immer (okay, meistens) eine ehrliche Antwort gegeben. Die Reaktionen darauf waren, natürlich, sehr betroffen und meistens wussten die Menschen nicht was sie dazu sagen sollen. Denn das war offensichtlich nicht das, was sie hören wollten. Aber auch das ist okay, was soll man darauf auch sagen!? Ist halt scheiße und das braucht man nicht schönreden. Also, sprecht es an, redet über eure Erfahrungen. Es hilft nicht nur anderen ein Verständnis dafür zu kriegen, sondern es ist auch eine Art Trauerbewältigung.
Ihr merkt, es ist ein sehr komplexes und emotionales Thema. Deshalb: sorry für die Länge. Falls ihr auch eine Fehlgeburt hattet und euch gerne darüber austauschen möchtet, dann dürft ihr gerne diese Plattform hier nutzen. Ich freue mich über alle Kommentare.
Falls ihr aktuell in einer ähnlichen Situation seid und merkt, dass ihr damit nicht allein fertig werdet, dann sucht euch bitte Hilfe. Niemand muss das allein durchstehen. Hier sind einige Adressen, an die ihr euch wenden könnt:
- Pro Familia – Dort könnt ihr euch telefonisch melden, es gibt aber auch eine Online-Beratung.
- Initiative Regenbogen – Ein Verein betroffener Eltern, die ein oder sogar mehre Kinder vor oder nach der Geburt verloren haben.
http://initiative-regenbogen.de
- Telefonseelsorge – Träger ist die evangelische und katholische Kirche.
- Schmetterlingskinder – Diese Seite richtet sich an Frauen und deren Partner, die ihr Kind durch eine Fehlgeburt, Totgeburt, medizinisch indizierter Abbruch, eine Frühgeburt, während oder kurz nach der Geburt, verloren haben.
http://www.schmetterlingskinder.de/
- Leere Wiege – Hilfe zur Bewältigung einer Fehlgeburt, Totgeburt oder eines Säuglingstodes.
2 Kommentare
Liebe Julia,
danke für diesen Post. Ich habe am Dienstag erfahren, dass das Herz meines Babys nicht mehr schlägt. Das war auch in der 10. Woche. Da mein Körper aber noch nicht bereit war, das Baby gehen zu lassen, musste heute eine Ausschabung gemacht werden. Ich hatte große Angst davor, zumal mein Mann mich wegen Corona nicht ins Krankenhaus begleiten durfte. Jedoch waren alle MitarbeiterInnen, sowohl ÄrztInnen als auch Schwestern und Pfleger, so einfühlsam und herzlich, dass es eine für die Umstände positive Erfahrung für mich war. Nun kann ich mir Zeit nehmen, um zu heilen – körperlich wie seelisch. Mein Mann ist mir dabei eine große Stütze und das Ganze hat uns noch enger verbunden. Wir nehmen uns nun etwas Zeit, um dann einen weiteren Versuch zu starten.
Liebe Grüße, Melanie
Liebe Melanie,
vielen Dank, dass du deine Geschichte mit mir/uns teilst. Es ist nicht leicht offen darüber zu reden. Aber manchmal ist das genau der richtige Weg, um das Erlebte zu verarbeiten. Es ist jetzt schon einige Monate her (verzeih mir bitte die späte Anwort, habe deinen Kommentar eben erst gelesen) – ich hoffe sehr für euch, dass diese Zeit eine Zeit der Heilung war. Ich sende euch auf jeden Fall ganz viel Kraft und Zuversicht für das neue Jahr. Bei mir gab es ein Happy End, dieses wartet ganz bestimmt auch auf euch. <3